Konversion in Alt Daber – vom ehemaligen Flugplatz zum Solarkraftwerk Alt Daber

von Markus Hennen

Im Zuge der Wiederaufrüstung im NS-Regime wurde die erste Schule für die Ausbildung der neuen Waffengattung der Fallschirmjäger der Wehrmacht in Stendal eingerichtet. Der ehemalige Flugplatz in Alt Daber entstand zwischen 1937 und 1940, andere Quellen geben 1938-39 an, auf einem Standort, der ab 1934 als Segelflugplatz genutzt wurde.

Während die Anlage in Stendal ursprünglich als Militärflugplatz diente, war Alt Daber der erste Platz, der von Anfang an als Fallschirmjägerschule konzipiert war. Von 1939 bis 1944 wurden hier zahlreiche Soldaten im Sprungdienst und im Absetzen mit Lasten­seglern ausgebildet, darunter Joachim (Blacky) Fuchsberger und zu Propagandazwecken Max Schmeling. Der erste Platzkommandant, der österreichische Fallschirmsportler Oberstleutnant Herbert Freiherr von Gratzy, verunglückte am 18. Januar 1940 bei einem Absprung tödlich.

Parallel zur Fallschirmjägerausbildung wurden bis zum Ende des 2. Weltkrieges auch Luftwaffenverbände hierher verlegt. Unter anderem, um das Schleppen von Lastenseg­lern zu üben. Kurz vor Kriegsende war hier das 1. Nachtjagdgeschwader 100 vom 11. März bis zum 29. April 1945 stationiert und flog Einsätze an der Ostfront. Das 1. (Panzer) Schlachtgeschwader 9, eine Luftwaffeneinheit, die Bodenziele, insbesondere feindliche Panzer zerstören sollte, war die letzte bekannte Einheit, die hier stationiert war, um in Vor­pommern und im Raum Berlin russische Panzer zu vernichten. Am 30. April 1945 wur­den die letzten flugfähigen Maschinen nach Sülte, südlich von Schwerin, verlegt. Beim dortigen Landeanflug erlitten sie durch angreifende britische Jagdflugzeuge erhebliche Verluste, darunter allein sechs tote Piloten.

Die sowjetische Armee besetzte Alt Daber am 3. Mai 1945, nutzte den Platz ohne Unterbrechung weiter und baute den Standort aus. Die 2000 Meter lange Start- und Landebahn wurde betoniert und spä­ter um 400 Meter verlängert.

„Normalerweise flogen sie an zwei Tagen pro Woche, oft auch zusätzlich an Samsta­gen. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr, so ohrenbetäubend war der Krach. „Und wenn sie die Schallmauer durchbra­chen, knallte es so laut, dass ich dachte, sie hätten Bomben abgeworfen.“ Zitat eines Zeitzeugen aus dem Rote-Mühle-Weg in Wittstock/Dosse.                                                                                                           

Der jüngste Sohn Stalins, Wassili, dien­te hier als Generalmajor 1946-47. In der hiesigen Garnison wurde wahrscheinlich auch Swetlana Sawitzkaja, Tochter des Ar­meegenerals Sawitzki am 8. August 1948 geboren, obwohl sie selbst als Geburtsort Moskau angibt. Sie war die zweite Frau im All überhaupt und blieb 1984 als erste „Raumspaziergängerin“ annähernd 4 Stun­den im Weltraum.

Das hier stationierte Jagdfliegerregiment 33 IAP erhielt im Winter 1985/86 als erste Einheit der Westgruppe der Truppen auf deutschem Territorium die MIG 29.

1990 konnte hier ein deutsches Filmteam erstmals einen ganzen Tag unzensiert auf dem Flugplatzgelände drehen und Interviews mit Soldaten, deren Familienangehörigen und mit Zivilangestellten führen. So entstand ein überaus interessantes Zeitdokument, das ein tiefgreifendes Stimmungsbild vor dem Abzug der Westgruppe der ehemals so­wjetischen Truppen aus Deutschland bietet. 

Am 19. März 1994 nahmen rund 3.000 Wissbegierige das Angebot des „Tages der offenen Tür“ an, um dem Flugplatz einen Besuch abzustatten.

Am 19. Juni 1994 starteten hier die letzten 24 MIG in Richtung Heimat und einen Tag später erfolgte die Übergabe der Gesamtliegenschaft, mit insgesamt 410 Hektar an die deutschen Behörden.

Zur Abschätzung der Altlastensituation fand in allen übergebenen WGT-Liegenschaf­ten (Liegenschaften der Westgruppe der Truppen der früheren sowjetischen Armee) eine Erstbegehung zur Erfassung von Altlastverdachtsflächen statt. Auf dem Flugplatz Alt Daber wurden 36 Altlastverdachtsflächen ermittelt, davon 28 mit hoher Umweltrelevanz. Bis 2009 wurden insgesamt 32 dieser Flächen beseitigt bzw. gesichert.

Zwischen 1997 und 2006 realisierten die Agentur für Arbeit, das Amt für Arbeitsmarkt des Landkreises Ostprignitz-Ruppin und die Stadt Wittstock/Dosse hier mehrere Maß­nahmen des 2. Arbeitsmarktes.

Dadurch konnte die ökologische Situation auf dem Gelände verbessert und der regio­nale Arbeitsmarkt zeitweise deutlich entlastet werden. Im Rahmen der überwiegend durch den Strukturfonds der Europäischen Union geförderten Maßnahmen (OP-EFRE-Mittel, das operationelle Programm für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung), konnten Shelter, Bunker und Gebäude abgerissen sowie Altlasten beseitigt werden.

Insgesamt wurde ein Tanklager mit 162 Kerosintanks, 177 Gebäude, Shelter (gebun­kerte Schutzunterstände für Flugzeuge), Bunker und technische Anlagen mit einem Bau­volumen von 154.000 m³ umbauten Raums und 43.000 m² versiegelter Fläche zerlegt und verschrottet.  

Am 18.10.2001 besichtigten Vertreter des Brandenburgischen Landesamtes für Denk­malpflege und Archäologisches Landesmuseum die Anlage; insbesondere durch die elitäre Architektur der sog. „Luftwaffenmoderne“ erfolgte die Unterschutzstellung des Gebäudeensembles der Fallschirmsprungschule, der Funktionsgebäude und der Trup­penunterkünfte.

Besondere Aufmerksamkeit fand die Konstruktion des Kombinationsgebäudes des Fallschirmtrockenturms und des Fallschirmpacksaals. Im Februar 1993 hatte Altkanzler Kohl den Neuen Bundesländern die kostenlose Übernahme von ehemaligen WGT-Flä­chen inkl. aller Rechte und Pflichten des Eigentümers angeboten. Ausgenommen waren Flächen, die der Bund selbst benötigte sowie besonders schwer belastete Flächen durch Altlasten und/oder militärische Altlasten. Das Land Brandenburg übernahm von 1994 bis 1998 rd. 100.000 ha WGT-Flächen und für den Flugplatz Alt Daber ergab sich daraus folgende Eigentumssituation:

Ca. 45 ha verblieben in Bundeseigentum, vor allem für die hier zu errichtende Garnison im Zusammenhang mit dem geplanten Luft-Boden-Schießplatz der Kyritz-Ruppiner Heide.

Ca. 186 ha hielt das Land Brandenburg bis 2005 im Sondervermögen, dann im allge­meinen Grundvermögen, verwaltet durch die Brandenburgische Boden (BBG).

Ca. 176 ha wurden 1996 an die Stadt Wittstock übertragen in Erwartung einer großen Investition zur Errichtung einer Fahrsicherheitszentrums.

Nach dem Aus zur Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide, dem sog, „Bombodrom“ als Luft-Boden-Schießplatz im Sommer 2009 folgte ebenfalls der Verzicht auf die zu errichtende Garnison der Bundeswehr in Alt Daber. Seither hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit Förderung aus dem Europäischen Strukturfonds Rück­baumaßnahmen, sowie fortlaufende Maß­nahmen zur Altlastenbeseitigung realisiert. Per Ausschreibung konnte eine Teilfläche für Fotovoltaik verkauft werden, der Bau­beginn war noch vor Jahresende 2016 ge­plant. Die Landeseigene Fläche wird von der Brandenburgischen Boden (BBG) ver­waltet. Die BBG entwickelt und vermarktet die Fläche gemeinsam mit der Stadt Witt-stock/Dosse.

Zielsetzung für das hiesige Areal waren überwiegend Ausgleichs- und Ersatzmaß­nahmen für den Neubau der Bundesau­tobahn A 14, Rückbaumaßnahmen, u. a. Tanklager und Entkernung Plattenbauten. Per Ausschreibung konnten 2016 ca.  9 ha für Fotovoltaik veräußert werden, Baubeginn erfolgt 2016/17.

Für die Konversion der städtischen Teilfläche führte die Stadt Wittstock zahlreiche Ver­handlungen, um eine nachhaltige wirtschaftliche Nachnutzung zu erreichen. Im Einzelnen ging es um folgende Vorhaben: Regionalflugplatz, Gewerbeansiedlung,  Motorsport und Fahrsicherheit, Musikveranstaltungen, Modellbahn, Lager, Beweidung, Freizeitpark, Hähn­chenzucht (Elterntiere für die Haltung der Hähnchenzucht). Im Ergebnis konnte bis 2010 keine Investition realisiert werden, aber immerhin Zwischennutzungen! So fanden jahre­lang im Technikbereich des Flugplatzgeländes regelmäßig Veranstaltungen für Motorsport, Fahrtraining und Musik statt. Dies war jedoch mit Lärmbelästigung v. a. für die Anwohner in der Ortslage Alt Daber verbunden. Außerdem tangierten die Veranstaltungen die Landes-und Bundesflächenanteile. Durch unerlaubtes Betreten dieser Flächen bestand „Lebens­gefahr“ für die Eindringlinge.

Die Ausrichtung auf regenerative Energien in Deutschland öffnete neue Perspektiven. Nach europaweiter Ausschreibung konnte nach Erteilung des Zuschlags am 20.12.2010 der Pachtvertrag mit dem Betreiber des Solarparks Alt Daber über eine geplante Be­triebsdauer von 20 Jahren geschlossen werden. Nun ging es Schlag auf Schlag.

Der Satzungsbeschluss erfolgte am 20.03.2011. Die Baugenehmigung wurde am 24.03.2011 beantragt und am 12.05.2011 erteilt. Offizieller Baustart war am 25.05.2011 und die Einweihung bereits am 12.03.2012. Auf der Fläche sind 850.000 Solarmodule auf Gestellreihen mit 125 Km Länge installiert. Seit Ende 2011 liefert der Solarpark Alt Daber Energie p. a. für ca. 19.000 Vier-Personen-Haushalte (rund 71,4 GWh).

Ende 2014 wurde der Solarpark erweitert um ein Batterie-Speicherkraftwerk mit einer Kapazität von ca. 2.0000 kWh. Der Bruttotyp des Speicherkraftwerks wurde vom Mini­sterium für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg mit 376.000 € gefördert.

Fazit: Das Engagement für eine wirtschaftliche Nachnutzung des ehemaligen Militär­geländes Alt Daber hat sich gelohnt:

  • Gefahren durch Altlasten und militärische Altlasten sind beseitigt
  • Mensch, Natur, Umwelt: - statt Konfliktsituationen herrscht hier Harmonie
  • Imagegewinn „Ökologie“: - CO2 Einsparung (p.a. 44.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid)
  • Ökonomischer Erfolg: Gewerbesteuer, Pachteinnahmen
  • Rückstandsfreier Abbau nach Nutzungsende
  • Der Lärm ist Geschichte!

Der Autor ist Dipl. Volkswirt, Geschäftsführer der Bruckbauer & Hennen GmbH u. a. Sanierungsbeauftragter der Stadt Wittstock/Dosse. Fachliche Begleitung des Forums für Konversion und Stadtentwicklung (FOKUS) und der Veranstaltungsreihe des Konversionssommers im Land Brandenburg

Literatur- und Quellenhinweise:
Kurt Arlt, Michael Thomae, Bruno Thoß: Militärgeschichtliches Handbuch Brandenburg-Berlin Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 2010

Marie-Luise Buchinger, Andreas Skopnik, Torsten Volkmann: Fliegerhorst Wittstock (Fallschirmsprungschule) Alt Daber - Gutachtliche Stellungnahme zum Denkmalwert. - Wünsdorf, 2002 Dost,

Wolfgang: Wittstock und seine Ortsteile - Deutschlands drittgrößte Stadt. - Geiger Verlag, Horb am Neckar, 2011

Fallschirmjäger (Wehrmacht). - https://de.wikipedia.org/wiki/Fallschirmj%C3%A4ger_(Wehrmacht)

MIG 29 über Deutschland. 33. Sowjetisches Jagdfliegergeschwader Wittstock 1990. - Sanssouci Film GmbH, Hohe Kiefer 159, 14532 Kleinmachnow

Solarpark Alt Daber. https://de.wikipedia.org/wiki/Solarpark_Alt_Daber Stadt Wittstock/Dosse.

Entwicklungskonzeption sowie Konversionsplanung für die wirtschaftliche Nachnutzung des ehemaligen Flugplat­zes Wittstock - Alt Daber. - B. B. S. M. Brandenburgische Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Moder­nisierung mbH, Behlertstraße 3 a, 14467 Potsdam

Thomas Jansen Ortsplanung Siedlung 3, 16928 Blumenthal Gesellschaft für Konversion im Ruppiner Land mbH, Trenckmannstraße 35, 16816 Neuruppin

Ingenieurbüro Ellmann/Schulze GbR, Hauptstraße 31, 16845 Sieversdorf Zapf, Jürgen: Flugplätze der Luftwaffe 1934-1945 – und was davon übrig blieb. Band 1 Berlin und Brandenburg/ VDM Heinz Nickel, Zweibrücken 2001

 

Quelle: 
Veröffentlicht im Jahrbuch des Landkreises Ostprignitz-Ruppin 2017